Der deutsche Staat hält über die öffentliche Beschaffung einen großen Hebel für die Nachhaltigkeitstransformation in der Wirtschaft in der Hand, den er bislang nur unzureichend nutzt. Was sind die Gründe hierfür und wie können die Hürden für mehr Nachhaltigkeit überwunden werden? Marc Wolinda aus dem MBA-Netzwerk teilt in diesem Gastbeitrag aktuelle Studienergebnisse – und seine Expertise.
Ein Gastbeitrag von Marc Wolinda
Öffentliche Verwaltung? Vergabewesen und Beschaffung? Das sind Begriffe, bei denen wenige Menschen in Ekstase verfallen. Das gilt wahrscheinlich auch für unsere „Sustainability-Bubble“. Aber es lohnt sich, einen nachhaltigen Blick auf die öffentliche Beschaffung zu werfen. Denn hier liegt – aktuell muss man sagen: hier schlummert noch friedlich – ein enormes Potenzial für die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft. Denn der Staat beschafft jedes Jahr Waren und Dienstleistungen in einem Umfang von 350 bis 550 Milliarden Euro. Hierunter fallen Kugelschreiber, PCs und Möbel für Verwaltungen, Schulen etc., aber auch ganze Gebäude und Straßen bis hin zu Rüstungsgütern wie einer Fregatte. Zudem werden viele Dienstleistungen wie z. B. die Schulgebäudereinigung, die Pflanzenpflege an öffentlichen Straßen oder Architektenleistungen von der Privatwirtschaft eingekauft. Insgesamt entspricht das Beschaffungsvolumen bis zu 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Würde der Staat seine Beschaffung konsequent nachhaltig ausrichten, wären das entscheidende Impulse für die Wirtschaft.
Wie nachhaltig beschafft der deutsche Staat?
Aber wie weit nutzt der deutsche Staat bereits dieses Potenzial? Bislang nur unzureichend, wie eine neue Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung zeigt. Nur 12,58 Prozent aller Vergabeverfahren im Jahr 2021 wurden mit Nachhaltigkeitskriterien gemäß der Vergabestatistikverordnung durchgeführt. Schaut man auf den Zeitverlauf auf der kommunalen Ebene, zeigt sich sogar ein deutlich negativer Trend. Vergaben mit Nachhaltigkeitskriterien sind von 2012 bis 2023 um über 40 Prozent zurückgegangen, obwohl die Vergabestatistikverordnung mit den Kategorien „umweltbezogen“, „sozial“ und „innovativ“ einen sehr breiten Ansatz von Nachhaltigkeitskriterien bietet. Nachhaltigkeit ist in der öffentlichen Beschaffung auf dem Rückzug!
Abb.: Vergaben mit Nachhaltigkeit in den Zuschlagskriterien, Quelle: Bertelsmann Stiftung
Was ist die Hauptursache für fehlende Nachhaltigkeit?
Die Ursachen für die mangelnde Berücksichtigung sind vielfältig und vielschichtig, nicht jedoch zuvorderst im Vergaberecht zu suchen, wie häufig behauptet wird. Das Vergaberecht sieht ausdrücklich vor, dass das wirtschaftlichste Angebot zu wählen ist. Hierzu zählen auch Faktoren wie Lebenszykluskosten, Qualitätsmerkmale und eben auch Nachhaltigkeitskriterien im engeren Sinn, wie z. B. Umweltsiegel, ISO 14001-Zertifizierungen oder die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO (International Labour Organization) entlang globaler Lieferketten. Die Verordnung gibt aber explizit keinen abschließenden Kriterienkatalog vor, sodass öffentliche Beschaffer einen gewissen Spielraum haben. Eine der Hauptursachen für die unzureichende Umsetzung von Nachhaltigkeit liegt vielmehr in einer mangelnden Professionalisierung des Personals in den Vergabestellen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Es fehlt also schlicht an Kompetenzen für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung. Das bezieht sich einerseits auf die Kompetenz, zu wissen, was nach den gesetzlichen Vorgaben überhaupt möglich ist, und andererseits darauf, Ausschreibungen mit jeweils sinnvollen Nachhaltigkeitskriterien zu erstellen und Angebote auf ihre Nachhaltigkeit hin, zum Beispiel im Rahmen einer Ökobilanz, zu bewerten.
Welche Lösungsansätze für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung gibt es?
Der effektivste und naheliegendste Ansatz zur Minderung des Professionalisierungsdefizits ist natürlich die Fortbildung der in den Vergabestellen tätigen Personen im Bereich „nachhaltige Beschaffung“. Je nach Größe der Verwaltung kann auch eine höhere Einstufung der entsprechenden Stellen in Betracht kommen, sodass höher qualifiziertes Personal eingestellt werden kann. Zudem ist es wichtig, dass Verwaltungen mit klaren und messbaren Nachhaltigkeitszielen arbeiten, die von der Führungsebene mitgetragen werden. Wenn sich die Führungsebene, also Verwaltungsvorstand und Rat, nicht stark genug in Richtung Nachhaltigkeit bewegen möchten, so liegt es an den Bürgerinnen und Bürgern, entsprechenden Druck auf lokaler Ebene aufzubauen, zum Beispiel über Bürgeranträge, Leserbriefe oder das nächste Wahlkreuz. Hier sind wir also alle gefragt.
Marc Wolinda ist Project Manager im Programm „Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft“ der Bertelsmann Stiftung. Er studierte Politik- und Rechtswissenschaften in Hamburg und Stockholm und schloss 2020 den MBA Sustainability Management in Lüneburg ab. Vor seiner Zeit bei der Stiftung war er Offizier der Bundeswehr.
Marc Wolinda bei LinkedIn
Link zur Publikation zum Weiterlesen:
Bertelsmann Stiftung: Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung – Focus Paper
Als Gastautor*innen teilen Studierende und Alumni des berufsbegleitenden MBA Sustainability Management an der Leuphana Universität Lüneburg ihr Wissen, ihre Praxiserfahrungen und ihre Lösungsansätze zu Herausforderungen des Nachhaltigkeitsmanagements.
Sind Sie CSM-Studierende*r oder CSM-Alumni und haben Sie ein Thema, zu dem Sie einen Beitrag beisteuern möchten? Senden Sie Ihren Vorschlag gern an Anna Michalski (csm-kommunikation@leuphana.de).
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