Wasser ist die Grundlage allen Lebens – und scheint in Deutschland (noch) unerschöpflich vorhanden zu sein. Regional und saisonal sieht das aber anders aus. Proaktiv und nachhaltig mit der Ressource Wasser umzugehen und Risiken rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden, ist ein wichtiger Teil des Nachhaltigkeitsmanagements von Unternehmen. Mit genau diesem Thema hat sich MBA-Alumna Marie-Sophie Wilde in ihrer Masterarbeit beschäftigt und wurde dafür mit dem diesjährigen Master-Thesis-Award des CSM-Alumni e.V. ausgezeichnet. In Zusammenarbeit mit ihrem Unternehmen Lanxess hat sie wasserbezogene Risiken für Produktionsstandorte der Chemieindustrie analysiert und ein praxistaugliches Analysetool entwickelt. Anhand welcher Kriterien man die eigene Wassernutzung hinterfragen sollte und warum sie mit ihren Ergebnissen zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, berichtet Marie-Sophie Wilde im Interview.
Nehmen Sie uns mit in die fachliche Welt Ihrer Masterarbeit: Was haben Sie untersucht?
Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich versucht eine Analyse zu entwickeln, die es Unternehmen ermöglicht, ihre Produktionsstandorte nach Wasserrisiken zu untersuchen. Wasser ist ja quasi das nächste CO2, nur dass man hierbei noch regionaler denken muss. Um CO2 zu reduzieren oder zu kompensieren, können Unternehmen rein betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen: Wo ist es für mich als Unternehmen am ökonomisch sinnvollsten CO2 zu reduzieren?
Wasser ist das nächste CO2.
Bei Wasser geht das nicht. Wenn an einer Stelle zu viel Grundwasser entnommen wird, kann es nicht an anderer Stelle, bspw. einem ganz anderen Land wieder „gut gemacht“ und kompensiert werden. Die Unternehmen müssen folglich bewerten: Wo ist die Situation kritisch? Wo kann ich wasserintensive Produkte herstellen, wo besser nicht? Wo trete ich in direkte Konkurrenz mit der lokalen Bevölkerung oder dem Ökosystem vor Ort? Meine Analyse hilft den Unternehmen alle Standorte nach vergleichbaren Kriterien zu bewerten und sie nach dem Risiko zu clustern. Das ermöglicht es, geeignete Maßnahmen abzuleiten.
Wie haben Sie erkannt, dass die bereits vorhandenen Risikoanalyse-Tools und -Daten für eine umfassende Bewertung nicht ausreichen?
Zunächst einmal habe ich jede Menge gelesen und dabei festgestellt, dass es zwar extrem gute Tools und auch erste Standards für sehr bestimmte Wasserthemen gibt, dass uns als Unternehmen jedoch eine leicht anzuwendende Methode fehlt, um die Vielzahl an Produktionsstandorten zu bewerten. Zudem sind viele Tools und Methoden sehr allgemein gehalten, mein Anspruch war es hingegen, auf die Besonderheiten der chemischen Industrie einzugehen. Und natürlich sollte die Methode auch die Entscheidungsträger abholen. Weichere gesellschaftliche Themen mussten mit Klimamodellen und finanziellen Bewertungen verknüpft werden um das ganze Spektrum an möglichen Wasserrisiken abzubilden.
Welche dieser wasserbezogenen Risiken sind aus Ihrer Sicht weitestgehend unterschätzt und zu wenig in der Öffentlichkeit oder auch bei Fachkundigen präsent?
Im Moment gibt es viele Diskussionen über den sog. Wasserstress, also vereinfacht gesagt, um das Missverhältnis zwischen Wasserentnahme und Wasserverfügbarkeit in einer Region. Mittlerweile gibt es tolle Tools, die anhand der Standorte den aktuellen und selbst den zukünftigen Wasserstress modellieren können. Das ist also leicht. Schwierig wird es, die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Und genau da sehe ich aktuell noch eine große Lücke in der Praxis.
Leider sind Kosteneinsparungen in Bezug auf Wasser aktuell kein starker Treiber, einfach weil Wasser weltweit zu günstig ist.
Betreibt man eine Anlage in einem Gebiet mit hohem Wasserstress, heißt das nicht zwingend, dass man bereits Probleme hat, Wasser für den Betrieb zu besorgen. Aber es heißt, dass man die Situation im Auge behalten muss, schauen muss, wie es der Bevölkerung vor Ort geht und welche Gesetze die örtliche Regierung erlässt um die Wasserreserven zu schützen. Verhält man sich in diesen Stressgebieten verantwortungsvoll, also als Water Steward, kann man besser auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren, ist resilienter. Leider sind Kosteneinsparungen in Bezug auf Wasser aktuell kein starker Treiber, einfach weil Wasser weltweit zu günstig ist.
Wie werden Ihre Ergebnisse nun in der Praxis umgesetzt?
Tatsächlich war ich mit meinen Ergebnissen zur richtigen Zeit am richtigen Ort und fand Gehör bei unserem Vorstand. Anschließend hat sich viel getan. Wo wir Datenlücken identifiziert haben, haben wir das Reporting erweitert. Meine entwickelte Analyse wird nun jährlich aktualisiert, im aktuellen Geschäftsjahr wurden vier unserer Standorte als Risikostandorte identifiziert. Für diese haben wir uns das Ziel gesetzt, bis 2023 ein Water Stewardship Programm einzuführen und die Wasserentnahme um 15% zu reduzieren. Ich sehe das als großen Erfolg über den LANXESS auch sehr transparent berichtet. Zudem haben wir erstmals am CDP Water teilgenommen und direkt mit einem B abgeschlossen. Auch das zeigt, dass wir mit den Maßnahmen und Zielen auf einem guten Weg sind. Aber natürlich muss man am Ball bleiben. Wir erwarten hier von unseren Standorten, dass sie weit über das bloße Wasser-Management hinausgehen und aktiver Teil der Community vor Ort werden. Das ist neu und fordert viel Erklärung! Aber es tut sich etwas.
Können Ihre Erkenntnisse auf andere Branchen übertragen werden und wenn ja, auf welche insbesondere?
Generell sollte sich jedes Unternehmen intensiv mit seinem Wasserfootprint auseinandersetzen und zwar immer im lokalen Kontext.
Der Schwerpunkt der Masterarbeit lag natürlich auf der chemischen Industrie. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich die Methode auch auf andere Branchen mit weltweiten Produktionsstätten anwenden lässt, z.B. die Automobilindustrie. Auch dort ist Wasser ein wichtiges Produktionsmittel. Auch Energieversorger, die große Wassermengen zur Kühlung benötigen, kämen in Frage. Für den Dienstleistungssektor müsste man hier und da vielleicht ein paar Anpassungen machen. Aber generell sollte sich jedes Unternehmen intensiv mit seinem Wasserfootprint auseinandersetzen und zwar immer im lokalen Kontext. Übergeordnete Unternehmensziele zur Wasserreduktion sind zwar aus Effizienzgesichtspunkten relevant, bringen aber nichts, wenn sie nicht auch mit sehr konkreten, kontextbasierten Zielen untermauert sind.
Wie aufwändig war die Abstimmung zwischen den Praxisanforderungen auf Unternehmensseite und den wissenschaftlichen Anforderungen seitens der Uni?
Eigentlich nicht besonders aufwändig. Wenn man mit einem neuen Thema in einem Unternehmen wie LANXESS gehört werden will, dann muss es Hand und Fuß haben. Es war deswegen sogar sehr hilfreich, sehr wissenschaftlich an das Thema heranzugehen. Und ich hatte natürlich auch tolle Kolleg*innen und viel Expertenwissen im Unternehmen, auf das ich zurückgreifen konnte. Dadurch konnte ich die Theorie, die ich mir angelesen habe, immer auch mir der Praxistauglichkeit „challengen“. Und natürlich musste ich auch ein paar Ansätze verwerfen, weil sie einfach zu schwer umzusetzen gewesen wären. Aber das ist ok, Ziel war es ja eine Methode zu entwickeln, die sich leicht durchführen lässt, aber trotzdem relevante Ergebnisse erzeugt.
Etwas kritisch gefragt: Wäre das Betreiben der Chemie-Standorte oder auch anderer Produktionen Ihrer Meinung nach auch noch bei Betrachtung von Science-based Targets unverändert möglich?
Der WWF beschreibt sehr schön die Kaskade möglicher Wasserziele, die sich ein Unternehmen setzen kann: Wasserziele, Kontext-basierte Wasserziele und Science-based Ziele. Der Aufwand, aber auch der Nachhaltigkeitsnutzen steigen mit jeder Stufe an. Aktuell entwickeln Unternehmen vor allem kontext-basierte Ziele und Strategien, was definitiv ein Schritt nach vorn ist. Mittelfristig kommen wir aber um Science-based Targets nicht herum. Es muss also für jedes Flussgebiet analysiert werden, wie viel Wasser insgesamt genutzt werden darf, ohne den natürlichen Kreislauf zu gefährden. Und dann muss die Zivilgesellschaft gemeinsam mit Politik, Industrie und Landwirtschaft verhandeln, wer welchen Anteil der Wasserressourcen nutzen darf. Und natürlich ist es dann möglich, dass bestimmte wasserintensive Prozesse nicht mehr überall auf der Welt stattfinden können. Dann hat die Industrie jedoch immer noch die Möglichkeit mit technischen Innovationen darauf zu reagieren. Es gibt heute sog. Zero-Liquid-Discharge Produktionsstätten, die kein Abwasser mehr produzieren.
Die Verfügbarkeit von Wasser wird als Standortparameter zukünftig noch viel wichtiger werden.
Zudem können chemische Anlagen auch als Partner für die lokale Bevölkerung agieren. Betreibt eine Anlage bspw. eine eigene Kläranlage für ihre Abwässer könnte diese entsprechend so dimensioniert und eventuell bezuschusst werden, dass die Abwässer der Bevölkerung ebenfalls geklärt werden und Frischwasser zur Verfügung gestellt wird. Hier wird man in Zukunft sicher neue Konzepte und mehr Zusammenarbeit sehen. Aber ja, es wird sicher auch Standorte geben, von denen man sich langfristig trennen muss. Die Verfügbarkeit von Wasser wird als Standortparameter zukünftig noch viel wichtiger werden.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Frau Wilde!
Das Interview führten Ina Reinders, Vorsitzende des CSM-Alumni e.V., und Anna Michalski, Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg.
Über den MBA Sustainability Management Master-Thesis-Award
Der Master-Thesis-Award wird jährlich vom CSM-Alumni e.V. für herausragende und besonders innovative und/oder praktisch relevante Masterarbeiten vergeben. In diesem Jahr wurden gleich zwei Absolventinnen ausgezeichnet:
- Nina Riehle-Hussain für ihre Arbeit zum Thema „Chancen und Hemmnisse bei der Einführung einer umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung in der Golfregion – Anhand des Beispiels der Regierung von Ras al Khaimah“, begutachtet durch Prof. Dr. Raymond Saner und Prof. Dr. Annika Martens. Zum Interview mit Nina Riehle-Hussain
- Marie-Sophie Wilde für ihre Masterarbeit „Risikobasierter Ansatz zur Bewertung von Produktionsstandorten mit Wasserrisiken – Wasserrisiko-Analyse für die chemische Industrie am Beispiel der LANXESS AG“, begutachtet durch Dr. Charlotte Hesselbarth und Dr. Thomas Pelster.
Links zum Weiterlesen:
WWF – hier besonders interessant für Unternehmen der Leitfaden „Kontextbasiertes Wassermanagement in Unternehmen“
Aqueduct Water Risk Atlas – um eigene Standorte zu bewerten
Standard der Alliance for Water Stewardship
CSM-Alumni e.V.
Bild: © Marie-Sophie Wilde, privat