Die Klimakrise gehört zu den schwersten Krisen der Gegenwart und stellt auch Unternehmen vor große Herausforderungen. Dem Aufsichtsrat, dem höchsten Kontrollgremium von Aktiengesellschaften, kommt bei der Lösung der Probleme eine besondere Bedeutung zu, die viel zu häufig noch nicht wahrgenommen wird. Wie Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften eine effektive Klima-Governance forcieren können, damit hat sich MBA-Alumna Anna Carolina Geier in ihrer Masterarbeit beschäftigt. Für ihre Arbeit wurde Sie dafür mit dem diesjährigen Master-Thesis-Award ausgezeichnet. Im Interview verrät Sie uns, welchen Herausforderungen ihr bei ihrer Arbeit begegnet sind und was sie sich für die Zukunft von Aufsichtsräten wünscht.
Beginnen wir mit einer thematischen Einordnung ihrer Masterarbeit: Wie sind Sie auf das Thema gekommen und was haben Sie genau untersucht?
Die Klimakrise ist ein Thema, das mir sehr wichtig ist. Ich engagiere mich ehrenamtlich in der Climate Governance Initiative des World Economic Forums. Ein zweiter Aspekt ist, dass es zu meinen Berufszielen gehört, Aufsichtsrätin zu werden. Aus diesen beiden Gründen lag das Thema nahe. Über die Rolle von Aufsichtsrät*innen in Bezug auf den anthropologischen Klimawandel habe ich im deutschsprachigen Raum kaum Literatur gefunden, obwohl der Klimawandel eines der dringendsten Probleme dieses Jahrzehnts ist. Daher habe ich mich in meiner Master Thesis damit beschäftigt, wie Aufsichtsrät*innen deutscher Aktiengesellschaften eine wirksame Struktur von Regeln und Prozessen im Unternehmen durchsetzen können – die Klima-Governance – und was die Voraussetzungen dafür sind.
Was waren für Sie konkrete Herausforderungen bei der Recherche oder auch beim Erstellen der Masterarbeit?
Herausforderungen gab es reichlich, sonst wäre vermutlich über Klima-Governance in deutschen Aufsichtsräten schon längst geschrieben worden. Drei Herausforderungen, die die Komplexität des Sachverhaltes aufzeigen, will ich betonen:
Erstens beziehen sich bisherige wissenschaftlichen Untersuchungen weitestgehend auf den in der Rechtstradition des „Common Law“ geprägten angelsächsischen Raum mit monistischer Führungsstruktur der Boards of Directors. Diese sind nicht ohne Weiteres auf das deutsche dualistische System von Aktiengesellschaften mit Vorstand und Aufsichtsrat anwendbar. Eine meiner Aufgaben war es deshalb, die Erkenntnisse aus dem angelsächsischen Raum in das deutsche System zu übersetzen.
Zweitens gibt es keine rechtliche Klarstellung der Begriffe. Ein Beispiel: Auf UN- und EU-Ebene wird Treibhausgasneutralität mit dem Begriff Klimaneutralität gleichgestellt. Im deutschen Rechtsraum herrscht Uneinigkeit darüber. Diese Definitionslücke gibt Raum für Greenwashing und erschwerte es mir, den klaren Rahmen der Rechte und Pflichten von deutschen Aufsichtsrät*innen aufzuzeigen.
Drittens ist oftmals in Literatur, Gesetzgebung und Satzungen von Aktiengesellschaften von Nachhaltigkeit im Allgemeinen statt Klimawandel im Speziellen die Rede. Klimaschutz wird meist nur implizit erwähnt. Die Leserschaft wie Aufsichtsrät*innen muss sich den konkreten Bezug zum Klimawandel meist selbst herleiten.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage von Aufsichtsräten ein? Wie gut wird Ihrer Meinung nach das bestehende Gesetzeswerk, vor allem in Bezug auf die Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Aufsichtsräten, in der Praxis gelebt?
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die meisten Aufsichtsrät*innen sich der Relevanz vom Klimawandel im Allgemeinen bewusst sind, aber nicht ihrer eigenen Möglichkeiten oder gar Verantwortung. Dies liegt unter anderem an der unklaren Gesetzeslage, was die Rechte und Pflichten von Aufsichtsräten anbelangt. So beinhaltet die gesetzlich verankerte Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrates nicht explizit die langfristige Ausrichtung an Klimaschutzzielen. Der Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung stellte in seinem Abschlussbericht 2020 klar, dass die angemessene Berücksichtigung von Klimarisiken durchaus Bestandteil der Überwachungsaufgabe von Aufsichtsräten ist. Spätestens nach Veröffentlichung dieses Berichtes sollten sich Aufsichtsrät*innen ihrer Pflicht bewusst sein.
Die aktuelle Lage in den Aufsichtsratsgremien zeigt ein anderes Bild: Ich habe in meiner Master Thesis alle damals frei zugänglichen Aufsichtsratssatzungen und -Geschäftsordnungen von DAX-30 AGs analysiert mit dem ernüchternden Ergebnis, dass lediglich drei dieser AGs Klima-Governance in ihrer Geschäftsordnung berücksichtigen und dies nur im grundsätzlichen Rahmen der Nachhaltigkeit. Ein spezifischer Klima-Ausschuss oder Beauftragte/-r waren in keinem Aufsichtsratsgremium zu finden. Studien belegen zudem, dass es an formeller Struktur und Fachkompetenz in den meisten Aufsichtsgremien fehlt. Deutsche Aufsichtsratsgremien liegen damit unter dem europäischen Durchschnitt.
Welchen Grund vermuten Sie hinter der Wirksamkeit des Frauenanteils auf die Ausrichtung zum nachhaltigeren Wirtschaften? Haben Sie Vorschläge, wie die Diversifizierung von Aufsichtsräten verbessert werden könnte?
Sie sprechen hier die Ergebnisse einer Studie an, aus der sich ergab, dass Unternehmen vor allem dann sozial und ökologisch wirtschaften, wenn Frauen und UmweltexpertInnen dem Aufsichtsratsgremium angehören und wenn sich das Gremium regelmäßig verjüngt. Es konnte ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats und der Entwicklung der unternehmerischen Nachhaltigkeit nachgewiesen werden.
Eine Begründung, warum ein höherer Frauenanteil sich positiv auf die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens auswirkt, habe ich nicht. Mir will auch keine Begründung einfallen, warum Nachhaltigkeit nicht Aufgabe jedes/-r Aufsichtsrät*innen sein sollte, auch der männlichen. Grundsätzlich werden in divers besetzten Gremien mehr Perspektiven an den Tisch gebracht, dies könnte eine Begründung für die Korrelation sein. Ein Umdenken ist daher notwendig. Aufsichtsratspositionen müssen jünger, diverser und mit mehr Nachhaltigkeitsexpertise besetzt werden. Manchmal kann die Lösung so einfach sein. Und falls jetzt das Argument kommt, dass es keine geeigneten Kandidat*innen mit entsprechender Berufserfahrung gäbe, lade ich die Mitglieder der Hauptversammlungen herzlich ein, sich mal unter unseren MBA-AbsolventInnen umzuschauen. Sie werden überrascht sein, welches hohe Level an Expertise und Managementerfahrung sie vorfinden werden.
Was war für Sie eine überraschende Erkenntnis ihrer Arbeit?
Dass es in Deutschland keine allgemeingültige und hinreichend bekannte Definition von guter Klima-Governance gibt. Dies hat mich im heutigen Zeitalter, in dem die Klimakrise allgegenwärtig ist, sehr überrascht. In meiner Master Thesis wage ich einen ersten Versuch, aus der internationalen Literatur eine Definition zu entwickeln, die dem deutschen Rechtssystem gerecht wird. Grundsätzlich wäre es wünschenswert, dass eine Definition im Deutsche Corporate Governance Kodex aufgenommen wird.
Zudem hat mich überrascht, welche weitreichenden Möglichkeiten Aufsichtsrät*innen haben, eine effektive Klima-Governance zu etablieren und auf der anderen Seite welch geringe gesetzliche Verpflichtung existiert, diese Möglichkeiten zu nutzen. So kann das Aufsichtsratsgremium bei der Besetzung von Vorstandsposten Klimaschutzexpertise als ein Kriterium heranziehen oder die Vorstandsvergütung an messbare Klimaschutzziele koppeln, verpflichtet sind die Gremien hierzu jedoch nicht. Kaum ein Gremium nutzt seine Möglichkeiten aus, was mich ebenfalls überrascht. Denn für die wirtschaftliche langfristige Überlebensfähigkeit eines Unternehmens ist die Einbettung einer klimaresilienten Strategie in das Geschäftsmodell notwendig. Eine fehlenden effektive Klima-Governance kann zum gravierenden Problem eines Unternehmens werden.
Sie haben als Ergebnis ihrer Masterarbeit einen 15-Punkte-Plan herausgearbeitet. Können Sie kurz beschreiben, was die Punkte ausmachen? Bei welchen drei Punkten gibt es den größten Nachholbedarf bzw. das größte Potenzial?
Meine Handlungsempfehlungen basieren auf fünf Säulen mit jeweils drei Aktionsfeldern. Sie beginnen mit der Risiko-Chancen Evaluierung in Bezug auf die Klimakrise und enden mit kontinuierlicher Weiterbildung zum Beispiel im Netzwerk der Climate Governance Initiative Deutschland. Mir war es wichtig, nur praktikable Handlungsempfehlungen zu geben. Sie sind direkt umsetzbar und verfolgen das Ziel, relevante Fragen zu beantworten und die Strukturen einer effektiven Klima-Governance zu etablieren.
Den größten Nachholbedarf gibt es bei den Aufsichtsrät*innen selbst. Es liegt an ihnen, sich das nötige Fachwissen kurzfristig anzueignen. Bei Neubesetzungen sollte darauf geachtet werden, dass qualifizierte Personen mit entsprechendem Fachwissen zu Klimaschutz ausgewählt werden.
Das größte Potenzial für Aufsichtsräte, um Klima-Governance in ihren Unternehmen zu forcieren, liegt in der Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf Klimaziele und die kritische Hinterfragung der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Zudem können Aufsichtsräte nach aktueller Gesetzeslage weitestgehend selbst entscheiden, wie sie Klima-Governance in ihre eigenen Gremien integrieren und inwiefern sie sich in den strategisch-konzeptionellen Teil der Klimastrategie der AG mitberatend einschalten.
Wie erwarten Sie, wird die Entwicklung der Aufsichtsräte weitergehen, beispielsweise in puncto Klima, Nachhaltigkeit oder auch Gender/Diversity? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Die Rolle des Aufsichtsrats befindet sich im Wandel. Er agiert immer mehr als mitunternehmerisches, beratendes und mitentscheidendes Unternehmensorgan. Für die Zukunft wünsche ich mir zweierlei: Erstens, mehr Klarheit des Gesetzgebers über die Rechte und Pflichten von Aufsichtsrät*innen in Bezug auf die Klimakrise. Denn ohne Druck geht es offensichtlich nicht. Mit der Einführung des European Sustainability Reporting Standards 2024 wird zwar der Druck auf Aufsichtsrät*innen erhöht, auf nationaler Ebene muss jedoch der regulatorische Rahmen präzisiert werden. Zweitens wünsche mir mehr Mut und Weitsicht bei der Besetzung von Aufsichtsratsgremien. Denn mehr Diversität führt zu nachhaltigem Unternehmenswachstum.
Vorbereitete Aufsichtsräte haben bereits heute verstanden, dass die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Pflichten bedeutet, die Robustheit ihrer Handlungen und Governance-Prozesse zu demonstrieren. Meine Master Thesis hatte zum Ziel, einen Weg dorthin aufzuzeigen. Die Umsetzung liegt bei den Aufsichtsräten selbst.
Die vollständige Abschlussarbeit ist hier erhältlich.
Vielen Dank für das spannende Interview, Frau Geier.
Über den MBA Sustainability Management Master-Thesis-Award
Der Master-Thesis-Award wird jährlich vom CSM-Alumni e.V. für herausragende und besonders innovative und/oder praktisch relevante Masterarbeiten vergeben. In diesem Jahr wurde foglende Absolventin ausgezeichnet:
- Anna Carolina Geier für ihre Arbeit zum Thema „Klima-Governance in deutschen Aufsichtsratsgremien: Wie Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften eine effektive Klima-Governance ihrer Unternehmen forcieren können“, begutachtet durch Ludgar Benighaus und Prof. Dr. Ortwin Renn
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